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Unternehmen erwägen Rückverlagerung der Produktion

Ein Frachtschiff legt sich quer und bringt damit den Welthandel zum Stocken. China und die USA führen einen Handelskrieg und erheben Strafzölle auf Waren des jeweils anderen. Oder ein Virus legt weltweit die Lieferketten lahm. Keine Frage: Es gibt viele potenzielle Bedrohungen für den reibungslosen Warenverkehr.

Wie also können Lieferketten widerstandsfähiger gestaltet werden? Diese Frage stellen sich seit dem Einsetzen der Corona-Pandemie zahlreiche Unternehmen, wie eine Umfrage von Euler Hermes ergab. Der französische Kreditversicherer befragte hierzu Ende 2020 Führungskräfte aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien.

Bedingt durch die Corona-Krise haben demnach mehr als die Hälfte der fast 1.200 befragten Unternehmen aus IT, Technik und Telekommunikation, Maschinen und Anlagen, Chemie, Energie und Versorgung, Automobilbau und Agrar- und Ernährungswirtschaft verschiedene Schutzstrategien eingeführt, die sie bei Bedarf aktivieren können. So gaben vier von zehn Unternehmen an, dass sie bereits Zulieferer aus dem Ausland gewechselt und Teile ihrer Produktion verlagert haben.

Kein Ende der Globalisierung

Ein Ende der Globalisierung ist allerdings nicht in Sicht. Auch wenn 94 Prozent der befragten Unternehmen in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien von einer durch Corona verursachten Unterbrechung der Lieferketten betroffen waren, ziehen nicht einmal 15 Prozent der Unternehmen Reshoring – also die Rückverlagerung der Produktion in das eigene Land – in Betracht.

Anders sieht es dagegen beim Nearshoring, also der Verlagerung der Produktion in ein nahe gelegenes Land aus. Diese Maßnahme können sich mittel- und langfristig etwa 30 Prozent der Unternehmen vorstellen, vor allem wenn das nahe gelegene Land Teil derselben Zollunion oder desselben Freihandelsabkommens ist.

Besonders US-Unternehmen erlebten schwerwiegende Unterbrechungen in ihren Lieferketten. 26 Prozent der amerikanischen Firmen waren hiervon betroffen – im weltweiten Gesamtdurchschnitt waren es nur 17 Prozent. Ursache ist der höhere Anteil an IT-, Tech- und Telekommunikationsunternehmen in den USA, die stark in globale Lieferketten integriert sind.

Bei deutschen Unternehmen zeigte sich hingegen eine deutlich geringere Anfälligkeit der Lieferketten, da es hier sehr viel weniger Unternehmen mit einem hohen Anteil an Produktion im Ausland gibt. Aus diesem Grund denken vergleichsweise wenige deutsche Unternehmen über Reshoring nach. Allerdings sind 83 Prozent der befragten Unternehmen dazu bereit, höhere Kosten für eine Produktion im Inland in Kauf zu nehmen. Die Kosten hierfür würde die eine Hälfte mit ihren Margen auffangen, während die andere Hälfte sie an die Kunden weitergeben und somit ihre Preise erhöhen würde.

Für die Zeit nach Corona zeichnet sich laut der Befragung klar ab, dass eine vielschichtige Resilienzstrategie zu den zentralen Faktoren gehören wird. Daneben werden traditionelle Aspekte wie Produktionskosten, Qualitäts- und Transportprobleme sowie Investitionskosten weiterhin Einfluss auf Entscheidungen rund um die Lieferkette haben. Betrachtet man die Länderergebnisse, stellt man jedoch große Unterschiede in allen Bereichen fest.

In den USA machen sich die Unternehmen mehr als in anderen Ländern Sorgen über die Qualität der einheimischen Zulieferer sowie über Kostenfragen. Im Gegensatz dazu scheinen in Großbritannien und Italien die Anfangsinvestitionskosten die größte Herausforderung zu sein, während in Frankreich die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Qualifikationen ein größeres Problem darstellen. Deutsche Unternehmen blicken hingegen mehr auf die Arbeitskosten.

Ländervergleich – wie reagieren verschiedene Industriestaaten auf die globalen Gefahren für ihre Lieferketten?

Jedes Land hat ganz spezifische Gründe, um über Reshoring nachzudenken. Sie reichen von Qualitätsfragen über Produktionskosten bis zur Förderung des heimischen Arbeitsmarktes.

USA

Am stärksten ist der Reshoring-Trend zweifellos in den USA. Hier erwägen zwischen 17 und 21 Prozent der 363 befragten US-Unternehmen eine Rückverlagerung der Produktion ins Inland. Dies dürfte mit der parteiübergreifenden US-Handelspolitik zusammenhängen, die darauf abzielt, die Abhängigkeit von anderen Ländern, insbesondere China, zu verringern. 28 Prozent der US-Unternehmen, die eine Verlagerung ihrer Produktionsstätten in Erwägung ziehen, nennen die Suche nach besseren Qualitätslieferanten als einen der drei Hauptgründe für eine Verlagerung. Damit sind die USA die Nation, die sich am meisten um den Faktor „Qualität“ sorgt. Der Grund dafür ist, dass Unternehmen mit wettbewerbsstarken Produkten aus IT, Technik und Telekommunikation den größten Anteil der Befragten in den USA ausmachen.

Großbritannien

Zwischen sieben und zehn Prozent aller befragten britischen Unternehmen könnten mittel- oder langfristig eine Verlagerung auf die Inseln in Erwägung ziehen. Das sind weniger als in den USA und Frankreich, aber mehr als in Italien. Vor dem Hintergrund des Austritts aus der EU-Zollunion und dem EU-Binnenmarkt suchen britische Unternehmen vor allem nach einer Stärkung ihrer lokalen Präsenz innerhalb der EU, einem leichteren Zugang zum EU-Markt und der Vermeidung von Transportkosten und Zöllen.

Deutschland

28 Prozent der deutschen Unternehmen zählen das Konzentrationsrisiko zu den drei größten Risiken für Produktionsstandorte – ein deutlich höherer Anteil als bei französischen, US-amerikanischen, britischen und italienischen Unternehmen. Der Grund dafür hängt mit der Art und Weise zusammen, wie deutsche Unternehmen ihre Lieferketten organisieren: 76 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass weniger als die Hälfte ihrer Zulieferer außerhalb des Landes angesiedelt sind. Zum Vergleich: In anderen Ländern sind es nur 65 Prozent.

Reshoring erwägen mittel- bis langfristig nur zwischen sechs und zehn Prozent der deutschen Unternehmen. Anders sehen die Zahlen beim Thema Innovation aus: Diese spielt bei der Auswahl von Lieferanten für 30 Prozent eine größere Rolle, während der Durchschnittswert der anderen Länder bei 20 Prozent liegt. Ein Ergebnis, das im Einklang mit der historischen Wettbewerbsstrategie Deutschlands steht, die auf Qualität und nicht auf Kosten setzt.

Frankreich

Auf die Frage nach den Hauptrisiken für ihre Lieferketten nannten 30 Prozent der französischen Unternehmen das Insolvenzrisiko von Zulieferern unter den Top drei und übertrafen damit den Durchschnitt der restlichen Länder um zehn Prozentpunkte. Französische Unternehmen haben im Vergleich zu Unternehmen in den anderen großen Ländern der Eurozone historisch gesehen niedrigere Gewinnmargen und höhere Verschuldungsquoten.

Der Ausbruch der Corona-Krise hat die Situation noch verschlimmert. Zwischen 13 und 18 Prozent der französischen Unternehmen erwägen eine mittel- bis langfristige Verlagerung der Produktion ins eigene Land. Demgegenüber stehen die italienischen Unternehmen mit drei bis sechs Prozent  und die deutschen mit einem Anteil zwischen sechs und zehn Prozent. Von denjenigen französischen Unternehmen, die eine Produktionsverlagerung in Erwägung ziehen, erwähnen 28 Prozent die Schaffung von Arbeitsplätzen im eigenen Land als Grund. Das ist der höchste Anteil unter allen Ländern (17 Prozent in den USA, 15 Prozent in Großbritannien, 16 Prozent in Italien und zehn Prozent in Deutschland).

Italien

Obwohl der Anstieg der Produktionskosten für die meisten Unternehmen das Hauptrisiko für die Lieferkette zu sein scheint (33 Prozent der Unternehmen zählten es zu ihren drei größten Risiken), scheint dieses Thema italienischen Unternehmen am meisten Sorgen zu bereiten. 40 Prozent der Befragten zählten es zu ihren drei größten Risiken. Da die italienischen Unternehmen 57 Prozent ihrer Produktionsstätten im Inland haben, könnte dies damit zusammenhängen, dass die Löhne schneller steigen als die Produktivität.

43 Prozent der italienischen Unternehmen würden mittelfristig eine Verlagerung ihrer Produktionsstätten aufgrund von Corona in Erwägung ziehen, was fast zehn Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der anderen Länder liegt, der sich auf 52 Prozent beläuft. Insgesamt ziehen nur zwischen drei und sechs Prozent der Unternehmen eine Verlagerung in Betracht, was deutlich unter dem Durchschnitt von zwischen zehn und 15 Prozent der befragten Unternehmen liegt.

Fazit:

Insgesamt zeigt die Umfrage, dass bei den befragten Unternehmen zwar durchaus ein Bewusstsein für die pandemisch bedingte Verletzlichkeit der Lieferketten herrscht, die Rückverlagerung von Produktionsstätten wird allerdings nur bei einem kleinen Teil der Befragten als adäquate Antwort darauf gesehen. Zudem spielen bei der Entscheidung zum Reshoring Kriterien wie Produktionskosten und Qualität eine ebenso große Rolle.

 

Quelle: www.eulerhermes.com/content/dam/onemarketing/ehndbx/eulerhermes_com/en_gl/erd/publications/pdf/2020_10_12_SupplyChainSurvey.pdf [1]