Der US-amerikanische Elektroautohersteller Tesla plant seinen nächsten großen Coup. In Zukunft will das Unternehmen von Elon Musk die gesamte Fahrzeugkarosserie mit einem Aluminiumdruckguss fertigen. Umgesetzt werden soll dieses Vorhaben mit dem Modell „OL 6200 CS HPDC“ – hinter diesem kryptischen Kürzel verbirgt sich eine der größten Maschinen der Gießerei-Geschichte.

Sowohl ihre Maße als auch ihre Leistungsparameter sind eindrucksvoll: 430 Tonnen Gewicht, 5.500 Tonnen Schließkraft, 104,6 Kilogramm Schussgewicht. Mit einer Länge von 19,5 Metern und einer Höhe von 5,3 Metern ist die „OL 6200 CS HPDC“ größer als manches Einfamilienhaus. „Das wird umwerfend sein, sie in Betrieb zu sehen“, zeigt sich Tesla -Chef Elon Musk visionär. Im Tesla -Stammwerk in Fremont, Kalifornien, sind bereits zwei der gewaltigen Hochdruck-Gussmaschinen in Betrieb. In Grünheide werden acht der Giga-Pressen installiert. Sie sollen den neuen Mittelklasse-SUV „Model Y“ aus nur drei Gussteilen produzieren – und das jährlich bis zu eine halbe Million Mal!

Aus 70 mach eins

Zum Vergleich: Für gewöhnlich besteht eine Fahrzeugkarosserie aus ungefähr 70 Teilen, die miteinander verklebt, verschweißt oder verschraubt werden. Die konventionelle Herstellung erfolgt dabei unter anderem mit verschiedenen Presswerken und Spritzeinheiten, welche die Teile wunschgemäß formen. Genau diese Prozesse möchte Tesla deutlich vereinfachen. Von den einst 70 Teilen könnte am Ende nur noch ein einziges übrigbleiben. So sollen sowohl die Herstellungs- als auch die Energiekosten gesenkt werden, und auch die Fertigung dürfte weit schneller über die Bühne gehen. Für die Tesla-Fahrzeuge bedeutet das: Weniger Gewicht sorgt für bessere Batterie-Effizienz und damit für mehr Reichweite.

Tesla veröffentlichte das erste Patent für die “Multi-Directional Unibody Casting Machine for a Vehicle Frame and Associated Methods” schon im Sommer 2019. Ansonsten zeigt sich das Unternehmen aber gewohnt geheimnisvoll. Steffen Kühn, Geschäftsführer der SCHOLPP GmbH, hat dazu folgende Gedankengang: „Sie lassen sich nicht in die Karten schauen, aber man kann erahnen, was in Grünheide entstehen wird. Wenn der Wandel vom Klein- ins Großformat funktioniert, dann ist es ein Knall, der eine Revolution in der Automobilindustrie auslösen könnte.“ Unabhängig davon, wie sich das Tesla-Vorhaben letztlich entwickeln und welche Auswirkungen es auf die deutsche und internationale Automobilindustrie haben wird – die Experten diskutieren bereits kontrovers darüber.

Echte Revolution

Auch Ferdinand Dudenhöffer, Autopapst und ehemaliger Professor an der Universität Duisburg-Essen, lobt die neue Tesla-Technik und vor allem die damit verbundene Kosteneinsparung: „Der Karosserie-Rohbau ist sehr investitionsintensiv. Tesla braucht weniger Pressen und Schweißroboter und kann damit gut 20 bis 30 Prozent Kosteneinsparungen im Rohbau realisieren.“ Tesla spart damit gegenüber anderen Autoherstellern nicht nur Zeit, sondern auch Kosten – und die könnte Tesla möglicherweise an die Kunden weitergeben und dadurch den Druck auf die etablierte Konkurrenz erhöhen. Dudenhöffer geht davon aus, dass der Wettbewerb entsprechend nachziehen muss.

Realistische Euphorie

Professor Jörg Wellnitz von der Technischen Hochschule Ingolstadt dämpft hingegen die Euphorie seines Kollegen und relativiert die Entwicklung. Der Inhaber des Lehrstuhls für Leichtbau gibt zu bedenken: „Aluminium ist ein superteurer Werkstoff – von der Ökobilanz ganz zu schweigen.“ Wellnitz macht zudem auf die physikalischen Eigenschaften des Werkstoffes Aluminium aufmerksam, der im Vergleich zu Stahl im Sommer deutlich wärmer wird und sich infolgedessen stärker ausdehnt. Die damit verbundene Herausforderung besteht darin, dass „die darüber befindlichen Bleche extrem genau darauf abgestimmt sein müssen“. Aus diesem Grund sieht er das Aluminiumdruckgussverfahren auch nicht in einer Großserie, sondern nur dann im Einsatz, „wenn die Not groß ist, um Gewicht zu sparen – z.B. bei Elektrofahrzeugen“. Des Weiteren weist Wellnitz auf die Unmöglichkeit der Reparatur beschädigter Karosserieteile nach einem Unfall hin.

E-Angriff auf Automarkt und Arbeitsplätze

Kann Tesla mit seinem Aluminiumdruckgussverfahren und seinen E-Autos die Automobilindustrie und ihre konventionelle Bauweise trotzdem auf den Kopf stellen? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Während Dudenhöffer in ihr eine Revolution sieht, äußert Wellnitz realistische Bedenken an dieser Entwicklung. Eines steht jedoch fest: Mit dem Einzug des Aluminiumdruckgussverfahrens fallen diverse Taktstraßen, Schweißroboter und sonstige Ausrüstung größtenteils weg – und damit auch etablierte Arbeitsschritte sowie Kontroll- und Qualitätsmechanismen. „Die Abhängigkeiten bei der Produktion könnten sich folglich auf ein Minimum reduzieren und parallel dazu die Qualität potenziell erhöhen”, schätzt SCHOLPP-Geschäftsführer Steffen Kühn den Ist-Zustand ein.

Das Tesla-Vorgehen würde sich außerdem auf traditionelle Arbeitsplätze, wie die von Bandarbeitern, Schweißern und Schlossern, auswirken. Trotz der bis zu 40.000 geplanten Mitarbeiter am brandenburgischen Standort, werden diese Berufsgruppen dann nicht mehr benötigt. Auch Zulieferer dürften ins Hintertreffen geraten, da Tesla einzig auf das Rohmaterial angewiesen wäre. Alles andere übernehmen die Maschinen und Mitarbeiter in der Giga-Fabrik. Tesla spart damit erheblich an Produktionskosten und kann folglich seine E-Autos wesentlich günstiger anbieten. Renommierte Autobauer werden so gezielt unter Druck gesetzt und sind gezwungen, in naher Zukunft eine adäquate Antwort zu geben.

 

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