Die Corona-Krise erschüttert die Weltwirtschaft und deckt dabei Schwächen von komplexen internationalen Liefer- und Wertschöpfungsketten auf. Unternehmen antworten mit nachhaltigen Maßnahmen auf COVID-19. Doch welche genau sind das und wie zielorientiert sind sie?

Tektonische Veränderungen in der Weltwirtschaft

Globaler Handel ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern funktionierte bereits in der Antike und im Mittelalter. Zwischen Europa und China war damals die sogenannte Seidenstraße der wichtigste Handelsweg. Bis heute erfolgt der Warenaustausch auf diesem Weg über Land und Meer – jedoch mit dem Unterschied, dass die Wertschöpfungsprozesse komplexer sowie der Transport günstiger und schneller geworden sind.

Der Handel zwischen den Nationen stieg – gemessen am weltweiten Bruttoinlandsprodukt – von 1990 bis 2011 um sagenhafte 21 Prozent. Nach den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert, den Terroranschlägen am 11. September 2001 und dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 bremst nun die weltweite Corona-Epidemie die Wirtschaft aus. Manche Industriezweige bringt sie sogar zum Erliegen. Ein sensibler Faktor sind dabei Lieferausfälle, ein eingeschränkter Flug- und Seeverkehr sowie Grenzkontrollen und -schließungen.

Der Fall China

Durch den Fall des Eisernen Vorhangs sowie die Aufnahme in die Welthandelsorganisation hat sich China zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftsschwergewicht entwickelt. So ist das Reich der Mitte nicht nur einer der weltweit größten Märkte für Neuwagen – für viele Unternehmen der Automobilindustrie ist das Land auch ein wichtiger Markt, um dort Produktionen auszulagern und Arbeitskosten einzusparen.

Insgesamt 60 Prozent des Welthandels entfielen zwischen 1990 und der Finanzkrise von 2008 allein auf die globalen Wertschöpfungsketten. Spätestens seit 2011 tritt die zunehmende Expansion jedoch auf der Stelle. Den Grund für diesen Stillstand sehen Forscher der Eliteuniversität Stanford in der gewachsenen Unsicherheit der Unternehmen in Bezug auf die sich regelmäßig verändernde weltpolitische Situation. Zuletzt schlug unvorhergesehen der Brexit ins Kontor – und dann kam Corona.

Glokalisierung vs. Globalisierung

Wachstum und Stagnation sind die natürlichen Zyklen des Wirtschaftslebens. Einen gravierenden Einfluss auf die global wie national größtenteils sinusförmigen Bewegungen haben insbesondere unvorhersehbare und plötzliche Phänomene. Der amerikanische Ökonom Nassim Nicholas Taleb bezeichnet sie als „Schwarze Schwäne“. Bereits vor der Corona-Pandemie waren die globalen Lieferketten unter anderem aufgrund steigender Arbeitskosten in China, des Handelskrieges von Präsident Trump sowie der Fortschritte in der Robotik, in der Automatisierung und im 3D-Druck großem Druck ausgesetzt.

Für die Liefer- und Wertschöpfungsketten, die in der Regel aus langen, komplexen Schritten aufgebaut sind, bedeutet das im schlimmsten Fall: Sobald auch nur ein einzelnes Element fehlt, muss unter Umständen der ganze Prozess unterbrochen werden. Hierfür reichen schon geänderte Rahmenbedingungen wie die Erhöhung von Zöllen oder Handelsstreitigkeiten aus. Die Unternehmen ziehen folglich die Konsequenz – weg vom globalen Denken und hin zu mehr Lokalität, um die Versorgung mit Gütern zu gewährleisten. Der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx bewertet diesen Wechsel vom globalen System zur „Glokalisierung” als alternativlos: „Die Unternehmen werden nun die mehrstufigen, multinationalen Lieferketten, die heute die Produktion dominieren, neu aufbauen und reduzieren.”

Umdenken gegen Internationalität

Unternehmen arbeiten deswegen schon an präventiven Maßnahmen, um in Zukunft wesentlich widerstandsfähiger gegenüber „Schwarzen Schwänen“ agieren zu können. Im Fokus der Überlegungen steht dabei folgende Frage: Wie können Liefer- und Wertschöpfungsketten in den nächsten Jahren aussehen? Apple geht in dieser schwierigen Zeit in die Offensive. So hat der Big Player der Elektronikindustrie damit begonnen, seine Produktionsstätten teilweise schon nach Indien, Taiwan und Vietnam zu verlagern. Weitere Firmen werden perspektivisch folgen und der lokalen bzw. lokalnahen Produktion ein größeres Gewicht geben.

Auch in der strategischen Bevorratung wird es ein Umdenken geben. Gerade zeigt sich im Falle von Lieferengpässen, wie wichtig eine Lagerhaltung ist. Die Energie- und Verhaltensökonomin Veronika Grimm erwartet entsprechend tiefgreifende Änderungen in der Wirtschaft und prophezeit: „Wir werden internationalen Lieferketten weniger vertrauen.“

Gegenwärtig sind schon erste tektonische Veränderungen in der Weltwirtschaft erkennbar. So ziehen diverse Unternehmen die Verlegung von asiatischen Produktionsstandorten nach Zentral- und Osteuropa in Betracht. In Deutschland möchten beispielsweise die chemische sowie Metall-, Elektro- und Elektronikindustrie die Produktionen zurückzuholen.

Heute entscheiden, morgen gewinnen

Die Entstehung neuer Kooperationsmodelle könnte somit postpandemische Realität werden. Aus der Corona-Epidemie müssen deswegen die richtigen Lehren und Erfahrungen gezogen werden, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. Damit genau dies einem Unternehmen gelingt, braucht es die intensive Auseinandersetzung mit jenen Hindernissen, die Produktion, Transport und Lieferzeiten beeinflussen können. Der lokale Neubau einer Produktions- oder Fertigungshalle bzw. eine Standortrückverlagerung näher an den eigenen Hauptstandort mitsamt Maschinen oder ganzen Produktionsanlagen sind wegweisende Schritte, um die Liefer- und Wertschöpfungskette stabiler zu gestalten.

In diesem Zusammenhang könnte die Industrie auch darüber nachdenken, identische Produkte an unterschiedlichen Standorten herzustellen. Sofern möglich, sollten Investitionspläne den neuen weltpolitischen Rahmenbedingungen angepasst und fortgesetzt werden. John Allen, Geschäftsführer der amerikanischen Denkfabrik Brookings Institution, konstatiert deshalb: „Die Geschichte nach COVID-19 wird von Gewinnern geschrieben werden.“ Und das gelingt vor allem mit neuen Seidenstraßen, die nicht mehr ausschließlich über mehrere tausend Kilometer verlaufen.

 

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