Bevor eine neue Fabrik errichtet werden kann, braucht es einen geeigneten Standort. Eine grüne Wiese allein reicht dafür nicht aus. Stattdessen spielen logistische und strategische Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle.
Der Wert jedes Standorts ist individuell und hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab. Ein Unternehmen muss sie entsprechend der persönlichen Priorisierung und Strategie genau definieren. Wir haben für Sie einige wichtige Aspekte aufgelistet, die Sie bei der Suche nach einem passenden Standort berücksichtigen sollten.
Fläche mit Puffer kalkulieren: Besonders wichtig bei der Planung ist folgende Frage: Reicht das vorgesehene Areal aus, um an Ort und Stelle zukünftig weiter expandieren zu können? Soll die Halle später einmal potenziell erweitert oder gar ein neuer Bau daneben platziert werden, ist das Thema Fläche bei der Wahl des Standorts zwingend zu beachten. Anderenfalls genügt beispielsweise auch eine Neuansiedlung in ein bereits bestehendes Industriegebiet. Solch eine Entscheidung hat Vorteile: Denn durch die bereits vorhandene Infrastruktur sind die Energie- und Wasserversorgung sowie die Verkehrsanbindung gewährleistet.
Mit der Politik sprechen: Wer einen Standort komplett nach seinen Vorstellungen umsetzen möchte, sollte im Vorfeld zahlreiche Gespräche führen – unter anderem mit politischen Vertretern sowie den lokalen Versorgern.
Zufahrtswege richtig kalkulieren: Es muss möglich sein, dass sämtliches Material für die Errichtung der Halle ohne größere Probleme zum Standort gebracht werden kann. Gleiches gilt für die oftmals sehr schweren und großen Maschinen. Aber auch perspektivisch sollte dieses Kriterium mit Hinblick auf die Produktlogistik bewertet werden.
Nah am neuen Zielmarkt: Bei der Wahl des Standorts spielen aber auch geografische Faktoren eine Rolle. Wer global denkt, sucht sich ein Land aus, in dem er neue Märkte erschließen und damit neue Kunden gewinnen kann. Um dabei gegebenenfalls Liefer- und Kommunikationswege kurz zu halten, ergibt es Sinn, wenn sich relevante Lieferanten und Partner in unmittelbarer Umgebung befinden.
Nähe zur Forschung: Unternehmen, die mit Forschungsinstituten sowie Universitäten oder Hochschulen zusammenarbeiten, sollten auf die Bildungs- und Forschungsinfrastruktur achten.
Politische Sicherheit: Ein Thema, dass in den letzten Jahren an Brisanz zugenommen hat. Ist zu erwarten, dass sich in einer Region die Sicherheitslage verschlechtert, hat das meist auch Auswirkungen auf Image und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
Fachkräftemarkt prüfen: Ein weiterer unverzichtbarer Faktor sind die Fach- und Arbeitskräfte. Sind sie in der Region in gewünschter Anzahl vorhanden? Bestehen neben dem Auto auch Anreisemöglichkeiten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln?
Tesla: Beispiel aus Brandenburg
Das US-amerikanische Unternehmen Tesla hat für seine neue Giga-Fabrik ein spannendes Stück Land mit historischer Bedeutung in Brandenburg ausgewählt. Die Entscheidung für das Grundstück in Grünheide gilt als äußerst kluger Schachzug. Die Erreichbarkeit ist hervorragend, denn mit Straßen, Schienen, Wasserwegen und Flughafen ist die Infrastruktur in unmittelbarer Standortnähe exzellent.
Das Werk liegt direkt am Berliner Ring und nur wenige Kilometer vom Autobahndreieck Spreeau entfernt – ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt zwischen Deutschland und Polen und zudem an der Achse Paris – Moskau gelegen. Auch der Wasserweg führt unmittelbar an Grünheide vorbei. Für Mitarbeiter, Lieferanten und Partner sind damit perfekte verkehrsinfrastrukturelle Bedingungen vorhanden, die zukünftig noch weiter ausgebaut werden sollen.
Erreichbarkeit – infrastrukturelle Vorteile
Vor mehr als 20 Jahren hatte der deutsche Automobilhersteller BMW ebenfalls diesen Standort in seine engere Auswahl genommen, sich dann aber doch für Leipzig entschieden. Möglicherweise lag es damals an einem fehlenden geeigneten Flughafen. Mittlerweile ist der „Flughafen Berlin Brandenburg“ (BER) aber eröffnet und innerhalb kürzester Zeit erreichbar. Doch nicht nur aus diesem Grund hat sich Tesla für den Standort nahe Berlin entschieden.
Der Auto-Konzern ist damit neben dem Heimatkontinent USA sowie Asien nun auf drei Kontinenten präsent. Ein wesentlicher Vorteil des deutschen Standorts: Da die Fahrzeuge nicht mehr über den großen Teich nach Europa geliefert werden müssen, fallen Zölle und weitere Gebühren weg. Im Ergebnis können die Autos preisgünstiger auf dem europäischen Markt angeboten werden.
Arbeiten in der zweiten deutschen Autostadt
Tesla beabsichtigt mit der Giga-Fabrik nicht weniger als die Errichtung einer zweiten Autostadt in Deutschland, und die soll wesentlich größer als jene in Wolfsburg ausfallen. Auf dem 300 Hektar großen Grundstück in Grünheide entsteht eine der größten Industrieansiedlungen in Brandenburg seit der Wende. Die damit verbundene Reindustrialisierung des Ostens ist mit vielen Hoffnungen verbunden. Tesla möchte schnellstmöglich eine halbe Million E-Autos pro Jahr produzieren und bis zu 40.000 Menschen am deutschen Standort beschäftigen. Hierzu werden zahllose Lkw und Güterzüge mit Material nach Grünheide rollen und fertige Fahrzeuge aus der Fabrik heraustransportiert werden. Um die beträchtliche Pendler- und Materialflut zu bewältigen, sollen mehrere Konzepte die aktuelle Verkehrsinfrastruktur zielgerichtet ausbauen. Dafür sind fünf bauliche Maßnahmen vorgesehen.
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
Im Norden soll eine neue, zweispurige Autobahnabfahrt vom Berliner Ring entstehen, welche direkt auf eine ebenfalls neue Landstraße führt. Im Süden ist für die Landesstraße eine weitere Fahrspur vorgesehen. Der Bau neuer und besserer Radwege in der Region sowie einer Brücke sind ebenfalls geplant. Autos, Radfahrer und Fußgänger müssen dann nicht mehr warten, wenn die Regional- und Güterzüge durch Grünheide rollen. Der Regionalzug RE1 hält zukünftig halbstündlich am Bahnhof Fangschleuse. Um vor allem die An- und Abreise der Mitarbeiter besser zu takten, plant der Autobauer mit einem zeitlich versetzen Schichtwechsel. Tesla selbst möchte Fahrgemeinschaften etwa mit speziellen Parkplätzen am Werk fördern sowie Firmentickets für öffentliche Verkehrsmittel anbieten.
Mit seiner Standortbestimmung im Herzen von Europa will der US-amerikanische Konzern seine Marktanteile gezielt und kontinuierlich ausbauen – und damit in Deutschland als Mutterland der Automobilindustrie beginnen. Mit der Infrastruktur sind die ersten Weichen dafür bereits gestellt.
Auch wenn die Ansiedlung in Grünheide ein gigantisches Projekt ist, zeigt es deutlich, welche relevanten Fragen im Vorfeld einer Standortbestimmung gestellt werden müssen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Fragen, die branchenspezifisch zu betrachten sind. Und genau aus diesem Grund hat jeder Standort einen ganz individuellen Wert – das macht die Suche so spannend.
Exkurs: ein Blick in die Geschichte des Geländes
In Freienbrink vor den Toren von Berlin entwickelten sich seit 1967 ein multifunktionales Logistikzentrum sowie eine Ausbildungsstätte und ein Kinderferienlager für die Bedürfnisse des ostdeutschen Geheimdienstes, des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Das als Sperrbezirk abgegrenzte Areal östlich des Autobahnrings wurde zum logistischen Rückgrat für die MfS-Zentrale in Ost-Berlin. Anfänglich umfasste der Dienstkomplex zwei Großraumhallen mit Regalsystemen, dutzende Lagerhallen für Militärgeräte sowie Energieversorgung und Asservatenlagerung. Später kamen außerdem noch Wohnblöcke und Bungalows sowie zwei zentrale Kohlenlagerplätze, ein Reserve-Tanklager für Kraftstoffe und eine Poliklinik hinzu.
Um die logistischen Herausforderungen effektiv bearbeiten zu können, erhielt der Komplex 1974 einen eigenen Anschluss an die Bahnstrecke Berlin-Frankfurt (Oder), sieben Jahre später folgte noch eine eigene Autobahnabfahrt. Unmittelbar vor der Wende umfasste der weitläufige Dienstkomplex Freienbrink sechs separate Sektoren, welche jeweils gesondert gesichert waren und einen eigenen Zugangsbereich besaßen. 2020 entschied Tesla das Areal und die vorhandene Infrastruktur zu nutzen, um eine der modernsten Autofabriken Europas zu errichten.
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